Menschen

Die Menschen in Rwanda können wunderbar lächeln, ihr Gesicht erhellt sich und sie strahlen Lebensfreude und Energie aus.

Aber zunächst lächeln sie nicht, wenn sie dich nicht kennen. Sie betrachten dich sehr prüfend, ohne eine Mine zu verziehen. Sie folgen dir, wohin du gehst und stehen schweigend und mit strengem Blick neben dir und beobachten, was immer du tust. Das ist im Anfang deines Aufenthalts ziemlich nervig, man gewöhnt sich auch nicht wirklich daran, aber mit der Zeit kann man es gelassener hinnehmen.

Für einen Rwander ist es ziemlich schwierig, nach etwas zu fragen oder zuzugeben, dass er etwas nicht verstanden hat. Das führt zu den merkwürdigsten Mißverständnissen, weil man zunächst davon ausgeht, dass jemand der „oui“ zu deinem Vorschlag oder zu deiner Frage sagt, dann auch Handlungen folgen lässt. Doch das ist leider nicht so, wie du spätestens dann feststellst, wenn das Abflussrohr nicht montiert ist, der Auftrag nicht ausgeführt, das Buch nicht geholt, das Kind nicht verarztet, der Kollege nicht befragt ist.

Kinder fragen nie, wenn sie etwas nicht verstanden haben, weil die rwandische Frage dazu lautet : „Hast du ein Problem?“ Und wer hat schon ein Problem!

Rwander finden es auch unhöflich, dich anzusehen, wenn sie mit dir sprechen und ebenso, in normaler Tonlage zu sprechen: sie flüstern. Das führt bei mir zu erheblichen Irritationen, weil ich schwer höre und es überhaupt nicht leiden kann, wenn jemand halb von mir abgewandt über meine linke Schulter flüstert. Aber viele Menschen hier haben einen Sinn für Situationskomik und wenn man sich selbst auf den Arm nehmen kann und dazu lacht, kann man schon oberflächliche Kontakte knüpfen.

Der Begriff „Dienstleistung“ ist im Bewusstsein der Menschen noch nicht so richtig verankert: du wirst nur dann bedient, wenn du es lautstark einforderst, bei der Steuerbehörde sitzt du schweigend über Stunden, während der Sachbearbeiter fröhlich telefoniert, mal rausgeht, sich die Beine vertreten, intensiv mit einem rwandischen Freund plauscht, seinen „bic“ sucht…; im Minibus kaufst du zwar ein Ticket, kannst aber nie sicher sein, dass du deinen Platz nicht mit Gepäck, Hühnern oder Menschen teilen musst. Bei der Erziehungsbehörde ist kein Gesprächspartner da, obwohl du vorher telefoniert hast, im Krankenhaus zwingt der Arzt die Mamans mit ihren kleinen Kindern dazu, innerhalb von 14 Tagen sechsmal(!) wieder nach Hause zu fahren, weil er den OP-Termin kurzfristig verschiebt. Die Fahrt -zuzüglich dreistündigem Fußmarsch- dauert vier Stunden und kostet für eine Person 1.500 Franc. Gegessen oder getrunken hat man dann noch nichts. Eine Maman verdient, wenn sie denn Arbeit hat, 800 Franc am Tag. Übrigens: ein neuer Operationstermin steht noch nicht fest!!

Der Genozid hat viele Wunden und Narben hinterlassen und die heutige Generation der 19 bis 40-jährigen hat zu 98 % Gewalterfahrungen hinter sich und Todesangst erlebt. Das führt zunächst einmal zu Misstrauen Anderen gegenüber, Emotionen werden unterdrückt, in der Öffentlichkeit werden keine Gefühle gezeigt. Die Hütte kann noch so armselig sein: der Zaun drumherum ist wichtig. Dabei ist die Kriminalitätsrate – verglichen mit anderen afrikanischen Staaten – eher gering.

Gearbeitet wird hier auf dem Land von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, jeden Tag der Woche, außer am Sonntag, da geht man zur Kirche. Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang heißt von 6.00 Uhr morgens bis 18.00 Uhr abends. Da der Strom fehlt, ist man auf Tageslicht angewiesen und da Transportmöglichkeiten auf die eigenen Füße oder das Fahrrad beschränkt sind, muss man sehr früh losgehen, wenn man Waren zum Markt bringen muss oder nach Byumba zu einer Behörde muss. Drei Stunden Fußmarsch sind normal; manche unserer Schulkinder haben einen Weg von zwei Stunden hinter sich, wenn die Schule um sieben Uhr beginnt (und sie bringen noch Futter für die Hasen, Schafe und Ziegen mit).

Wer ein Kleidungsstück ergattert hat, das gefällt, ist glücklich. Dabei wird der alte Mann im taillierten, geblümten Damenbademantel genauso respektiert wie der junge Mann im rosafarbenen, goldverzierten T-Shirt, auf dessen Brust man lesen kann „my boyfriend is cuter than yours!“ Der junge Mann im löchrigen roten T-Shirt mit der Aufschrift „I survived the money explosion“ ist wohl eher Opfer seiner mangelnden Englischkenntnisse.

Das Leben ist hart und es bringt wenig Abwechslung, Alkoholkonsum ist daher in Kirenge und anderen rwandischen Orten sehr extensiv. Das selbstgebraute Bananenbier wird in vielen „cabarets“ ausgeschenkt. Man trinkt es aus Plastiktassen mit einem Strohhalm oder gleich aus dem Braugefäss, um dass man sich herumhockt und den gemeinsamen Trinkhalm herumgehen lässt. Da es wenig (bezahlte) Arbeit gibt, stehen auch die jungen Männer schon morgens um sechs Uhr mit ihren Plastikbechern da und trinken, während sie darauf warten, dass jemand vorbeikommt und ihnen Arbeit anbietet. Schulleiter Aniceto holt daher auch Neunzehnjährige in die Klasse 6 unter der Bedingung, dass kein Alkohol getrunken und kein „cabaret“ besucht wird. Wer mit Platikbecher erwischt wird, fliegt!

Rwander meiden Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit und man sieht wenige Handgreiflichkeiten oder lautstarke Streitereien.

Frauen und Männer sind formal gleichberechtigt und Rwanda rühmt sich der meisten weiblichen Regierungsmitglieder (48%) weltweit. Leider hört die Gleichberechtigung unterhalb des Ministeramtes abrupt auf und die „mamans“ haben hier, wie in vielen Teilen der Welt, die Hauptlast bei der Aufzucht der (zu vielen) Kinder und der Bearbeitung der (zu wenigen) Ackerfläche zu tragen. Es ist durchaus üblich, dass der Mann und Vater verschwindet und sich irgendwo eine neue Frau sucht und seine Familie unversorgt zurück lässt. Für die Maman ist das dann eine unlösbare Aufgabe, ohne Bargeld und ohne ausreichend Nahrung die Kinder und sich selbst zu versorgen.

Daher ist die Schule – neben der Tatsache, dass wir versuchen guten Unterricht zu machen- eine ganz wichtige Institution, weil sie vielen Mamans und behinderten Papas die Möglichkeit gibt, wenigstens etwas Geld zu verdienen. Das Geld, das die Kinder hier verdienen können, wird aufgeschrieben und für wichtige Schulausgaben und für das Schulgeld der zukünftigen Sekundarschule gespart.

Wenn dich ein Rwander zu sich nach Hause einlädt, kannst du sicher sein, dass du seine Zuneigung gewonnen hast. Die Häuser bestehen aus maximal zwei Räumen, haben Lehmmauern, einen Lehmfußboden und drei Ziegelsteine als Feuerstelle. Kamine gibt es nicht. Wer einigermaßen wohlhabend ist, besitzt eine niedrige Bank, die bekommt der Ehrengast angeboten, alle anderen Personen sitzen auf der Erde. Da thront man dann als Gast über allen und fühlt sich unwohl.

Angeboten wird, wenn vorhanden, Tee (ganz besonders: mit viel Zucker!). Wasser darf man nicht trinken, wenn man eine Erkrankung vermeiden will, und so bin ich froh, weil ich keinen Tee vertrage, wenn der Gastgeber nichts hat, was er anbieten kann.

Wenn du im Dorf bekannt bist, sind die Menschen freundlich und sehr daran interessiert, was du so tust. So gehe ich denn, freundlich wie Queen Mum nach rechts und links winkend durch Kirenge und versuche mich in magerem Kinyarwanda. Bei einer Panne mit dem Auto kannst du sicher sein, zehn Experten zu finden, die dir helfen wollen -natürlich auch in der Hoffnung auf ein wenig Geld.

Ganz verstehen in ihren Beweggründen kann ich die Menschen hier immer noch nicht, auch ihre Körpersprache ist manchmal schwierig zu deuten, aber meistens können wir uns dennoch ganz gut verständigen. Was mich stört ist, dass ich immer auf der Hut sein muss, weil die meisten Menschen, die zu mir kommen, etwas erbitten oder fordern wollen; das macht den Umgang nicht sehr entspannend.

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